Gestern auf "arte" gesehen. Immer wieder die Frage der Schuld, die einen aufwühlt und verstört. Ich weiß nicht, ob das nur in meiner Generation noch vorkommt, denn obwohl ich persönlich völlig unbelastet bin (meine Eltern sind zu jung und die Großväter waren Sozialdemokraten vom alten Schlag), frage ich ich immer wieder wie ich selbst reagieren würde. Aber zu einer Gewissheit kann man nicht kommen, da müsste man schon die Höllen der Vorzeit absteigen. Diese Kritik fand ich im "taz"-Archiv:
In Eytan Fox' Film ,"Walk on Water" (hebräisch ללכת על המיים Lalechet al haMajim) gehen ein Mossad-Auftragskiller und der Enkel eines Nazi-Verbrechers auf Selbstentdeckungsreise
VON JAN-HENDRIK WULF
Axel Himmelman ist deutsch, schwul und lebt, obwohl er einen Nazi-Kriegsverbrecher zum Großvater hat, offenkundig mit sich und der Welt im Einklang. Eyal ist Israeli, Macho, Mossad-Auftragskiller und hat ein Problem. Während er auf Mission in Istanbul einen mutmaßlichen Hamas-Aktivisten per Giftspritze ins Jenseits befördert, nimmt sich seine Frau mit Schlaftabletten das Leben. In ihrem Abschiedsbrief beklagt sie, dass Eyal nur noch Todesstimmung verbreite. Kaum verwunderlich, dass Eyal die von seinem Vorgesetzten ohnehin nur halbherzig angeratene Psychotherapie in den Wind schlägt und sich lieber auf den nächsten Auftrag stürzt: den untergetauchten deutschen Altnazi Alfred Himmelman ausfindig zu machen und zu töten, bevor dieser durch natürliches Ableben seiner Strafe entgeht.
"Walk on Water" heißt der dritte Spielfilm des israelischen Regisseurs Eytan Fox. Er zeigt die Geschichte einer deutsch-israelischen Männerfreundschaft und erzählt von der Sehnsucht nach einem von sexistischen und nationalistischen Klischees befreiten Blick und einem besseren Leben. Auch hier sieht das Agentenauge nur, was es sehen will: Eyals neuer Beschattungsauftrag nimmt unter den Deutschen eine seltsame Wendung und führt ihn am Ende zu sich selbst.
Um Himmelman auf die Spur zu kommen, trifft sich Eyal (Lior Ashkenazy) Kontakt mit dessen Enkel Axel (Knut Berger), der gerade seine Schwester Pia (Caroline Peters) im Kibbuz besucht. Eyal bietet ihm seine Dienste als Fremdenführer an und will ihn dabei aushorchen. Und indem er sich professionell in Leben und Ansichten dieses zumindest in Nahostfragen unbedarften Deutschen hineindenkt, beginnt auch schon seine Therapie.
Denn Axel kommt mit seiner selbstlosen, vorurteilsfreien Art anscheinend gut durchs Leben. Am Kinnereth-See balanciert er verträumt auf einem in das Wasser ragenden Ast. Als Eyal sich darüber mokiert, erteilt ihm Axel eine erste Lektion in Sachen Lebenskunst: "Du musst dich frei machen. Keine Negativität, keine schlechten Gedanken." Dann könne man auch auf dem Wasser gehen. Seiner Schwester Pia, die sich später darüber beklagt, wegen ihres Nazi-Opas in Israel auf Beziehungsprobleme zu stoßen, rät er: "Wenn du dich selbst akzeptierst, akzeptieren dich die anderen." Auch da hört Eyal über ein verstecktes Mikro alles mit. Im Hintergrund läuft bei ihm die Berichterstattung über ein Selbstmordattentat.
So banal und blauäugig Axels Lebensweisheiten klingen, Eyal muss zu alledem in taktischer Verstellung gute Miene machen. Auch zu Axels Vorliebe für israelischen Volkstanz. Zu seiner zwanglosen Urlaubsbeziehung mit einem Palästinenser. Warum das Leben in Israel so kompliziert sein muss, will Axel nicht verstehen. Beklagen kann sich Eyal darüber nur in konspirativen Telefonaten mit seinem Chef: "Heute hätte ich ihn fast vermöbelt." Tiefere Einsichten können die Männergespräche mit Axel ohnehin nicht vermitteln: "Stimmt es, dass israelische Männer ungern über Gefühle reden?", fragt Axel, und Eyal bleibt die Antwort schuldig. Natürlich fällt es auch Axel schwer, richtige Worte für das Dritte Reich zu finden.
Angesichts der Gelegenheiten zum kulturellen Austausch zwischen einem Deutschen und einem Israeli bleiben die historischen Debatten in diesem Film enttäuschend banal. Doch das scheint Methode zu haben. Denn als wortlose Antithese präsentiert der Film recht eindeutig die Wohlfühldimension einer von Axel gelebten Zwanglosigkeit. Dass er darin so gar keine Individualität entfaltet, lässt ihn flach und programmatisch erscheinen - was nicht an den vom Drehbuch im Übermaß angebotenen und doch immer wieder unterlaufenen Gelegenheiten zu vertiefender historischer oder politischer Reflexion liegt. Filmisch präsent ist Axel nämlich nur als Eyals Beschattungsobjekt und so als Projektionsfläche für seine zunächst nur widerwillig eingestandene Sehnsucht, dass ein bisher verfehltes und nur am privaten Glück orientiertes Leben möglich wäre.
Eyal folgt seinem Objekt bis nach Berlin. Auf einer Familienfeier bei Axels Eltern hofft Eyal den alten Nazi endlich zu stellen. Beziehungsreich bewohnen die Eltern eine Villa am Wannsee. Hier ist die Atmosphäre so wohlhabend deutsch, so aufgesetzt und betulich wie in einem Derrick-Krimi: Alle müssen immerzu uneindeutig verdruckst und mit verschmollten Gesichtern herumlaufen. Doch am Ende gibt es einen Showdown mit Tränen, Läuterung und zumindest für Eyal die ganz private Umkehr in ein besseres Leben.
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